Montreal ist nach Paris und Kinshasa (Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo) die drittgrößte französischsprachige Stadt der Welt. Unser erster Eindruck nach der Fahrt und einem Fußmarsch durch die Innenstadt: Stau und hässliche Hochhäuser in den Banlieues, viele Menschen auf den Straßen, Bankentürme in der Innenstadt, dichte Bebauung und eine große Baudynamik. Eben alles, was eine Metropole ausmacht. Im Vergleich zu diesem pulsierenden Montreal erscheint uns Ottawa im Rückblick noch provinzieller.
Der zweite Eindruck von Montreal ist der Blick vom Mont Royal, dem Berg, der der Stadt den Namen gegeben hat. Auf ihn sind Manuel und ich hochgejoggt – und durften als Belohnung bei Sonnenuntergang den Blick auf die Innenstadt und den St.-Lorenz-Strom genießen. Die Lage der Stadt ist genauso phantastisch wie die ausgedehnten Grünanlagen rund um den Mont Royal. Hier lässt es sich drei Tage aushalten. Vermutlich auch viel länger.
Gegründet wurde Montreal 1642 als Zentrum des Pelzhandels. Da der St.-Lorenz-Strom im weiteren Verlauf ins Landesinnere mehrere Stromschnellen aufweist, erwies sich der Ort als geeigneter Hafenstandort. Spätestens seit der Eröffnung des St.-Lorenz-Seewegs 1951 spielen die Stromschnellen keine Rolle mehr, dennoch ist Montreal einer der wichtigsten Häfen Nordamerikas geblieben. Teile der alten französischen Altstadt („Vieux-Montreal“) sind auch geblieben, der Großteil der „Altstadt“ ist aber entweder nicht älter als 200 Jahren oder wiederaufgebaut.
Dass Montreal – anders als Toronto und Ottawa – eine französische Stadtgründung ist, merkt man bis heute. Die Stadt ist nicht im bereits erwähnten, für Nordamerika typischen Schachbrettmuster aufgebaut, sondern in einem System langer Streifen („spaghetti-farms“). Das Stadtbild wirkt vermutlich auch deshalb sehr europäisch.
Verblüffend ist auch, dass man – ähnlich wie in Frankreich – sogar bei der Bestellung des Mittagessens große Probleme hat, wenn man kein französisch spricht. Die frankophone Kultur hat sich sogar bis in den öffentlichen Nahverkehr durchgesetzt: das U-Bahnnetz von Montreal basiert auf dem von Paris und ist wiederum das Vorbild für die U-Bahn von Lyon gewesen. Architektur, Beschilderung und die auf Gummirädern fahrenden Züge erinnern an Frankreich, aber an keine andere nordamerikanische Stadt.
Was freilich anders ist als in Frankreich ist das Wetter: während im Sommer bis zu 33°C erreicht werden, kann das Thermometer im Winter auf bis zu -27°C sinken. Jeden Winter müssen 80 Millionen Euro aufgewendet werden für die Beseitigung von 2,50m Schnee. Der Schnee wird zu Bergen aufgetürmt, deren (schwarze) Reste man noch im Sommer sehen kann. Montreal ist somit weltweit die schneereichste Stadt dieser Größenordnung.
Juden und Juppies, Italiener und Griechen, Arme und Reiche. In Montreal findet man sie alle, manchmal gleich nebeneinander. Auf einer interessanten Exkursion konnten wir heute unterschiedliche Teile der Stadt kennen lernen und somit verschiedene Teilgruppen der bunten Bevölkerungsmischung sehen.
Interessant war zum Beispiel der Besuch in einem italienischen Viertel, dessen Häuser von Italienern für Italiener gebaut wurden und deren Gestaltung – inklusive der Südfrüchte im Vorgarten - tatsächlich an den letzten Italienurlaub erinnert.
Fontainebleau hingegen ist ein (erst vor wenigen Jahren!) im französischen Renaissance-Stil errichtetes Luxus-Wohngebiet, dessen Zentrum ein Golfplatz bildet. Die Mieten in diesem Gebiet sind noch weiter angestiegen, nachdem sich Céline Dion ein Haus gekauft hatte…
Einmal im Jahr wird in der Formel 1 der große Preis von Kanada ausgetragen. Beim Circuit Jilles Villeneuve, dem Austragungsort dieses Großevents, handelt es sich um einen der wenigen Stadtkurse im Formel 1-Rennkalender. Die Rennwagen rasen über ganz normale Straßen, auf denen man sonst auch im Auto oder im Stadtbus entlangfahren kann.
Wir wollten uns natürlich den Spaß nicht nehmen lassen, mit unseren Mietwagen auch einmal über die Rennstrecke zu fahren. Leider ist die Strecke heute aber tatsächlich eine Rennstrecke: Die Nascar-200-Serie macht an diesem Wochenende Station in Montreal, sodass das Gelände weiträumig abgesperrt ist.
Die Formel-1-Strecke befindet sich auf der künstlichen Insel Île Notre-Dame. Die meisten Gebäude hier und auf der Nachbarinsel (Jean Drapeau-Insel) wurden im Zuge der Expo 1967 errichtet, die Montreal so manches heute noch vorhandene Wahrzeichen beschert hat. Dazu gehören der Wohnkomplex Habitat 67 (insgesamt 354 interessant zusammengewürfelte Betonquader) und die „Montreal Biosphére“, heute eine Art Umweltmuseum, bei der Expo der US-amerikanische Pavillon.
Neben der Expo 1967 hat ein anderes Großereignis der Stadt interessante Gebäude beschert: die Olympischen Sommerspiele 1976. Das Olympiastadion und die angrenzenden Gebäude erinnern von der Formgebung her entfernt an die Bauten der vorangegangenen Olympiade in München. Statt kühner spinnennetzartiger Stahl-Glas-Formen wurde in Montreal allerdings überwiegend Beton verarbeitet. Das lässt die Gebäude globiger und schwerer wirken, interessanterweise aber nicht hässlich.
Expo, Olympia, Formel 1. Alles in einer Stadt. Aber auch im Kunst- und Kultursektor hat Montreal viel zu bieten, insbesondere natürlich als Zentrum der frankophonen Kultur in Nordamerika. Bei einem großen Fest in der Innenstadt mit mehreren Open-Air-Bühnen konnten wir vorhin erfahren, was „Festivalisierung der Innenstädte“ bedeutet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen