Washington D.C.



Zum Glück hatte ich vorhin das Tagebuch nicht dabei und bin anschließend noch durch Georgetown gelaufen, das mich ein bisschen mit der Stadt versöhnt hat. Sonst wäre hier ein absoluter Hass-Eintrag über Washington entstanden. Gedanklich hatte ich ihn mir eigentlich schon zusammengebastelt.
Na gut, eigentlich kann ich ihn ja trotzdem schreiben. Bitteschön, der Hasseintrag über Washington D.C.:

Auf den Seiten des Auswärtigen Amts habe ich gelesen, dass man bei der Ausreise aus den USA und der Einreise nach Deutschland keine gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßenden Texte einführen darf. Da ich das Tagebuch natürlich mit nach hause nehmen will, muss ich den Text über meinen Besuch in Washington D.C. vorsichtig formulieren…
Seit meinem ersten Besuch in Moskau ist es mir nicht mehr passiert, dass mich eine Stadt so aggressiv gemacht hat, wie Washington D.C. das heute geschafft hat. Ausgerechnet die beiden Hauptstädte der Weltmächte des 20. Jahrhunderts bergen also das Potential, eine Sightseeingtour in reinem Frust enden zu lassen.
Das erste, was ich in Washington wahrgenommen habe, war ein Obdachloser, der neben die Bahngleise geschissen hat. Schöner Einstieg. In der – unbestreitbar schönen – Union Station wollte ich dann einen Stadtplan oder zumindest einen U-Bahnplan mitnehmen – beides nicht gefunden. Keine Ahnung, wo sich die Touristeninformation versteckt, die es im Bahnhof angeblich gibt.
Also mache ich halt mit dem kompletten Gepäck auf den Schultern und dem aufgeschlagenen Reiseführer in der Hand auf den Weg – es sind ja nur elf Blöcke vom Bahnhof zum Hostel. Für die elf Blöcke brauche ich dann fast 40 Minuten, weil bei der Konstruktion dieser verdammten Stadt offensichtlich niemand an Fußgänger gedacht hat. Alleine, um auf die andere Seite des Bahnhofplatzes zu kommen, ist man fünf Minuten unterwegs. Man muss nämlich (warum auch immer) drei Straßen überqueren und dafür natürlich an drei roten Ampeln stehen.
Überhaupt Ampeln: ich habe in noch keiner Stadt so bescheuerte Ampelschaltungen erlebt wie in Washington: Hauptstraßen haben teilweiße mehr als drei Minuten lang grün, dann haben die Nebenstraßen eine Minute lang grün. Das klingt nicht viel, aber wenn man einmal mehr als zwei Minuten an einer roten Ampel gestanden hat, weiß man, wie lange ist. Man kommt sich verarscht vor. Erschwerend kommt hinzu, dass die einzigen (lächerlichen) Schattenspender Verkehrsschilder sind, an Bäume hat hier keiner gedacht. Und Washington ist nicht nur heiß, sondern auch schwül. Eigentlich völliger Blödsinn, eine Hauptstadt ausgerechnet in eine schwüle Sumpfebene zu bauen. Aber sie lag halt damals so schön zentral.
Überhaupt Hauptstadt: die Regierungsgebäude sowie die wichtigsten Monumente und Museen sind bekanntlich an einer Achse entlang aufgereiht, der „National Mall“. Am östlichen Ende liegt der Capitol Hill. Im Capitol sind das Repräsentantenhaus und der Senat, also die Legislative untergebracht. Die Judikative versteckt sich in Form des Supreme Court hinter dem Capitol. Die Exekutive findet man im weißen Haus, das etwa in der Mitte der Mall nach Norden versetzt errichtet wurde.
Das weiße Haus ist in der Tat ein sehr schönes Haus (viel mehr ist es aber auch nicht, der deutsche Bundespräsident wohnt repräsentativer) mit einem noch schöneren Garten. Aber war es denn wirklich notwendig, den Garten durch fünf (!) verschiedene Zäune inklusive Betonwand und Polizei-SUV zu schützen? 11. September hin oder her, die Terrorismusangst in Washington (dass sie nicht noch an Straßenkreuzungen Gepäckkontrollen machen ist alles) kann einem schon auf den Nerv gehen. Zumal andererseits die Einflugschneise für den Ronald-Reagon-Airport (es gibt in Deutschland ja auch einen Flughafen Franz-Josef Strauß…) direkt über die Washington Mall führt. Da soll dann einer die fünf Zäune verstehen…
Bei den Anschlägen vom 11. September sind 3.015 Menschen ums Leben gekommen, jedes Jahr auf Neue sterben im amerikanischen Straßenverkehr mehr als 40.000 Menschen (in Deutschland sind es etwa 5.000). Diese Relation müsste man den Amis (und den Deutschen…) mal klarmachen. Womit ich wieder bei meinem Lieblingsthema wäre, dem amerikanischen Autowahn. Selbst wenn man die National Mall entlangläuft, muss man (anders als z.B. im New Yorker Central Park) mehrmals lange an roten Ampeln warten, um völlig überdimensionierte Straßen zu überqueren. Die arroganten Affen, die ihre kleinen Schwänze hinter verdunkelten SUV-Scheiben verbergend (in einem Land, in dem es „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche auf Platz 1 der Bestsellerliste schafft, darf man so etwas schreiben!) den ganzen Tag die überdimensionierten Straßen entlang rasen, erinnern mich ebenfalls sehr an Moskau.
Aber überhaupt die National Mall: die Amerikaner schaffen es ohne Rücksicht auf ökologische Verluste, ganze Städte mit bunten Blumen und prächtigen Palmen mitten in die Wüste zu setzen. Aber sie schaffen es nicht, die Wiese ihrer National Mall grün zu halten. Irgendwie finde ich dieses gelbliche Gestrüpp ziemlich peinlich und einer Weltmacht nicht angemessen.
Die ganze Mall macht – abgesehen von den Gebäuden – einen recht lieblosen Eindruck. Hauptkriterium war offensichtlich reine Größe (das hat man erreicht!), da war alles andere egal. Immerhin ist der Ostteil der Mall ansprechender gestaltet, dort muss man aber die ganze Zeit die Augen auf den im wahrsten Sinne des Wortes beschissenen Weg richten.
Vorbild unter anderem für den Kapitolshügel war übrigens Rom. Ein Vergleich mit dieser traumhaften, lebendigen Stadt ist aber einfach nur lächerlich. Washington erinnert mich – z.B. vom Straßenraster her – eher an Paris. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass Paris für Menschen gebaut wurde, während Washington offensichtlich für Autos gebaut wurde. Wäre ich ein Auto, würde ich mir Washington bestimmt gut gefallen. Da ich ein Mensch bin, bevorzuge ich Paris.
Was man in Washington loben muss, ist das moderne U-Bahnnetz (während die Busse meistens an roten Ampeln stehen). Man merkt an der Gestaltung der Stationen und am Durchschnittsalter der Züge, dass Washington keine arme Stadt ist (ein Phänomen, das man aus vielen Hauptstädten kennt). Dennoch: warum legt eine Stadt, die die höchste Mordrate und eine der höchsten Kriminalitätsraten der ganzen USA hat, offensichtlich Wert darauf, dass die U-Bahnstationen besonders dunkelt gestaltet sind und in der Regel nur einen Ausgang haben? Will man den Kriminellen Angst machen? Ich verstehe es einfach nicht.
Genauso wenig verstehe ich, warum die Menschen hier so unglaublich unfreundlich sind. Wo sie doch im Rest des Landes so unglaublich freundlich sind. Ständig wird man zurechtgewiesen, niemand grüßt, in den öffentlichen Verkehrsmitteln herrscht dieselbe anonyme Stimmung wie in Europa (ein großer Unterschied zu bisher allen anderen amerikanischen Städten!). Hier ist alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist (mein persönlicher Favorit war das „No Jogging!“-Schild an einem Parkeingang), während im Rest der USA alles erlaubt ist, was nicht verboten ist. So zumindest mein Eindruck.
Washington hat so überhaupt nichts gemeinsam mit dem pulsierenden New York, mit dem wunderschönen San Francisco, mit dem super-freundlichen Seattle und mit dem interessanten Chicago. Aber nach 33 Tagen in Amerika muss es ja auch einmal eine Enttäuschung geben.



So, jetzt habe ich mir meinen Washington-Frust vollständig von der Seele geschrieben. Vielleicht hat man einen völlig anderen Eindruck von der Stadt, wenn man zu einer anderen Zeit mit angenehmerem Wetter und freundlicheren Leuten in Washington landet. Allein die Gebäude entlang der National Mall und all die kostenlosen Museen lohnen einen Trip in die Hauptstadt der USA. Dennoch wird mir niemand glaubhaft erzählen können, dass er Washington D.C. für eine wunderschöne Stadt hält.
Was in der Tat wunderschön ist, ist der historische Bezirk Georgetown. Eine der schönsten Neighbourhoods, die ich in den USA gesehen habe – wenn nicht sogar die schönste. Alte zweistöckige Holz- und Steinhäuser, jedes ein bisschen anders, jedes schön. Und vor allem: kein Freilichtmuseum für Touristen, sondern bewohnt und lebendig. Hier verbringt man gerne seinen de facto letzten Abend, hier geht man gerne einen Route-66-Burger essen und hier könnte man Washington wirklich gerne haben. Wenn nur diese langen Ampelwartezeiten nicht wären…

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