Toronto



Nach den drei Tagen New York beginnt heute in Toronto der eigentliche Zweck der Amerikareise: die Uni-Exkursion durch Kanada. Wir lernen im geographischen Institut der University of Toronto Gunter Gad kennen, der uns in den nächsten zweieinhalb Wochen begleiten wird. Gunter ist in Nürnberg aufgewachsen („ich kann kein Deutsch mehr, nur noch fränkisch“) und vor fast 40 Jahren nach Kanada ausgewandert.
Zwei Mitarbeiter des geographischen Instituts, Alan Walks und Zack Taylor, halten Vorträge für uns über die Sozialgeographie Torontos und die politische Struktur Torontos. Ich versuche einmal, die wichtigsten Inhalte der beiden Vorträge kurz zusammenzufassen:
- 86% der Bewohner Torontos leben in nach dem 2. Weltkrieg entwickelten Vororten
- Der ehemalige Vorort Mississauga ist heute die sechstgrößte Stadt Kanadas
- Die einkommensstärksten Nachbarschaften findet man in der Innenstadt von Toronto
- Immigranten ziehen nicht mehr – wie noch in den 70ern – vorrangig in die Innenstadt, sondern ebenfalls in die Vororte
- Die Sozialstruktur von Toronto ist vergleichbar mit derjenigen von Paris
- Im Großraum Toronto leben heute 5,8 Mio. Menschen, davon 2,6 Mio. in der City of Toronto; im „Greater Golden Horseshoe“ genannten Halbkreis um den Ontariosee leben 8,6 Mio. Menschen (in gesamt Kanada nur 33 Mio.!)
- Die Wachstumsraten der Bevölkerung sind nach wie vor sehr hoch
- Toronto verfügt über eines der restriktivsten Planungssysteme in Nordamerika, eine Abstimmung zwischen City of Toronto und Umlandgemeinden ist allerdings schwierig




„Today, we’ve got tourists on board, from Germany. Welcome to Toronto, the best city in the world!”
Applaus im ganzen Bus war die Reaktion auf diese Ansage des Busfahrers vor der Ankunft am Endbahnhof Finch. Ein lustiger Vogel, der auf seiner Route im Norden Torontos wohl nicht jeden Tag Touristen befördert. Schon während der Fahrt hat er immer mal wieder einen Witz untergebracht, zum Abschluss dann diese Verabschiedung inklusive Handschlag.
In drei verschiedenen Straßenbahnen, drei Bussen und einer U-Bahn haben wir gerade die westliche Hälfte Torontos umrundet und dabei Wohn- und Gewerbegebiete, Highways und eine Pferdebahn gesehen. Das Ziel war einfach, eine Tageskarte zu kaufen und einfach mal ein bisschen herumzufahren, um einen ersten Eindruck von Toronto – und zwar bewusst nicht nur von der Innenstadt – zu erhalten.
Bereits beim Ticketkauf wurde klar, dass der öffentliche Nahverkehr hier alles andere als perfekt ist: der Straßenbahnfahrer kann keine Tageskarten verkaufen und verweist uns auf die Grocery Stores. Die wiederum verweisen uns auf die Metrostationen. Dort erhalten wir – nachdem wir von der Chinatown aus, wo wir uns das Ticket eigentlich kaufen wollten, schon mehr als einen Kilometer laufen mussten – endlich unsere Tageskarten. Nicht etwa moderne Tickets mit Magnetstreifen, nein, ein Stück Pappe, auf dem der Geltungstag freigerubbelt werden muss!
Die betagte Straßenbahn, die sich durch den Berufsverkehr aus der Stadt herausquälte, kündete auch nicht gerade von einem modernen ÖPNV. Noch antiquierter wurde es an der Stadtgrenze, wo die Straßenbahn endet und man zur Weiterfahrt in das mit Toronto zusammengewachsene Mississauga nicht nur auf den Bus umsteigen, sondern auch einen neuen Fahrschein lösen muss. So etwas wie einen Verkehrsverbund – in vielen deutschen Städten seit den 70er Jahren Standard – gibt es im Großraum Toronto nicht. Aber zum Ausgleich sind die Busfahrer lustiger als in Deutschland.





Die Skyline von Toronto konnten wir gestern schon vom Ufer des Ontariosees und vom Obergeschoss der Unibibliothek aus beobachten, heute haben wir uns sozusagen durch diese Skyline hindurchbewegt. Gunter, ausgewiesener Toronto-Experte, hat uns die Innenstadt gezeigt. Schwerpunkte waren der Financial District, die Harbourfront und der King-Spadina District.
Der Financial District, zu Deutsch wohl am ehesten „Bankenviertel“, hat sich im 19. Jahrhundert in der Nähe des Hafens angesiedelt („der Bauer kann nicht auf sein Geld warten, bis das Getreide in Europa verkauft wird, also braucht man ein Kreditwesen“). Historische Gebäude findet man hier aber nur noch wenige, dafür umso mehr Bürotürme.
Die kalten Winter in Toronto sind der Grund dafür, dass der gesamte Innenstadtbereich inklusive Shopping Centern, Metrostationen und Banken unterirdisch miteinander verbunden ist. Insgesamt kann man ein unterirdisches Wegenetz von 27km erkunden.
Die Harbourfront hingegen sollte man auf jeden Fall oberirdisch erkunden, sonst würde man die schöne Aussicht auf den Ontariosee und die Toronto Islands verpassen. Statt Hafenanlagen und Lagerhallen findet man heute am Seeufer Cafés, Freizeiteinrichtungen und neue Wohnbebauung. Ein interessanter Umwandlungsprozess, der auch bei den nördlich gelegenen „Railway Lands“ stattgefunden hat. Statt ausgedehnter Bahnanlagen findet man hier heute moderne Wohnungen und Büros sowie zwei Wahrzeichen Torontos: den CN-Tower, das „höchste freistehende Gebäude der Welt“, sowie das Rodgers Centre (ehemals SkyDome), in dem u.a. Baseballspiele ausgetragen werden. Einen tollen Blick auf Spielfeld und Ränge hat man vom Hardrock-Café aus.
Die Besichtigung des King-Spadina Districts wurde durch ein erneutes Gewitter erschwert (das vierte Gewitter am sechsten Urlaubstag), dennoch war es interessant zu sehen, dass sich in einem alten Industriedistrikt in den Backsteingebäuden heute vor allem Büros und Wohnungen befinden. Also auch hier ein Wandel der Nutzungsformen.
Wir halten fest: die Innenstadt von Toronto hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem verändert. Sie ist nach wie vor sehr lebendig und beliebt. Das Wetter ist nach wie vor schlecht.




Dass Toronto nicht nur aus den Hochhäusern in der Innenstadt besteht, konnten wir am heutigen dritten Exkursionstag erneut erleben. Die mehr als fünf Millionen Menschen im Großraum der größten kanadischen Stadt verteilen sich auf eine große, größtenteils ebene und in Quadrate eingeteilte Fläche. An verschiedenen Wohnformen in dieser großen Fläche haben wir Station gemacht, so zum Beispiel am Haus des Universitätsdirektors in Rosdale; an der von verschiedenen Ethnien bewohnten Großwohnsiedlung St. James Town; an der in den 50er Jahren komplett neu errichteten Vorstadt Don Mills; an einer Gated Community, zu der ausschließlich die Anwohner und deren angemeldete Besucher Zugang haben; an einem Bauprojekt des „New Urbanism“ im Vorort Markham (wo man vereinfacht ausgedrückt versucht, städtische Dichte in den suburbanen Raum zu bringen und den Flächenfraß der Einfamilienhäuser einzuschränken); außerdem auch an einem asiatischen Einkaufszentrum Viele der Stationen waren noch beeindruckender als die Tatsache, dass man hier auf dem Highway auch rechts überholen kann.



5:1 haben die Seattle Mariners letztendlich gewonnen, obwohl wir den Toronto Blue Jays die Daumen gedrückt hatten. Dennoch war der Besuch des Baseballspiels im Rogers Centre ein schönes Erlebnis. Nach einer halben Stunde Spielzeit hatte mir Manuel die Regeln so gut erklärt, dass ich den Zusammenhang zwischen Ball, Strike und Out endlich verstanden habe. Spannend ist Baseball schon irgendwie, wenn man die Regeln erst einmal verstanden hat. Aber wie bei anderen amerikanischen Sportarten auch hat man den Eindruck, dass die Werbeanimationen in den Spielunterbrechungen eigentlich im Vordergrund stehen und nur selten wirklich Bewegung ins Spiel kommt. Es geht halt nichts über Fußball…

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