Von Berlin nach New York

10.000 Meter unter uns die schottischen Highlands, über die wir mit einer Geschwindigkeit von 892 km/h fliegen. Neben dem Fenster der linke Flügel unserer Boeing 747-400 („Jumbo-Jet“), vor uns noch etwa 4.800 Kilometer bis zum Zielflughafen New York – John F. Kennedy. Das sind die Zahlen, mit denen das Reisetagebuch meiner ersten Amerikareise beginnen soll.
Begonnen hat die Reise heute Morgen am Frankfurter Flughafen bzw. gestern Abend am Berliner Ostbahnhof. Enden wird die Reise in 33 Tagen ebenfalls wieder am Frankfurter Flughafen. Dazwischen werden hoffentlich unvergessliche Wochen in den USA und Kanada liegen: große Städte und große Distanzen; hohe Häuser und lange Züge.
Der Bordcomputer im Vordersitz zeigt an, dass wir noch knapp sechs Sunden im Flugzeug sitzen werden. Wir genießen geschmorte Reisnudeln mit Schweinefleisch, Pilzen und Zwiebeln in scharfer Bohnensauce und gehen davon aus, dass diese sechs Stunden im wahrsten Sinne des Wortes wie im Fluge vergehen werden.




618 Kilometer, das heißt noch weniger als eine Stunde trennen uns noch von New York. Von ein paar obligatorischen, aber harmlosen Gewittern mit Anschnallpflicht abgesehen verlief der Flug bisher ausgesprochen ruhig. Wir haben – obwohl noch nicht einmal 10:00h Ortszeit – gerade die zweite warme Mahlzeit des Tages (Hühnchen in Paprikasauce mit Buttergemüse und Spätzle) genossen und dabei Nordostkanada aus der Vogelperspektive betrachtet. Frisch gestärkt freuen wir uns jetzt auf die Ankunft in Big Apple.

New York



Die ersten drei Gründe, New York zu lieben, sind: das Wetter, die Freundlichkeit der Menschen und der Central Park. Das Wetter: Sonnenschein bei 36°C – das hat in Berlin in den letzten Wochen gefehlt. Die Freundlichkeit der Menschen: man bekommt gleich Hilfe angeboten beim Erwerb der Subway-Tickets; Zollbeamte, die uns fragen, wie sie uns auf Deutsch begrüßen können; für jeden unverschuldeten Rempler entschuldigt man sich; freundliche Menschen, wohin man schaut.
Den Central Park zu beschreiben, ist schwierig. Man muss ihn einfach erlebt haben, den Blumenduft mitten in der Großstadt, die gepflegten Wege und Pflanzungen, die Hügel und Wasserflächen.
Aber noch einmal zurück zu den Zollbeamten: trotz allem, was in den Reiseführern geschrieben wird, muss man keine Angst vor ihnen haben. Am wichtigsten ist tatsächlich, dass man gefühlte fünfmal eine Adresse in den USA angibt. Ob es die Adresse wirklich gibt, ist wahrscheinlich egal, Hauptsache man gibt sie an. Wenn man sich vom amerikanischen Akzent nicht abschrecken lässt, hat man aber ansonsten als offensichtlicher Tourist keine allzu großen Probleme zu erwarten (das kenne ich von Russland-Besuchen anders!). Eine Stunde nach der Landung saßen wir schon im Airport-Train und sind an typisch amerikanischen Holzhäusern mit oberirdischer Stromversorgung entlanggefahren.




„Wie am Potsdamer Platz, nur in echt“, so hat Christoph den Columbus Circle an der Südwestecke des Central Parks treffend beschrieben. Wie in der neuen Mitte Berlins auch hier schöne neue Glaspaläste, in New York aber richtig mit Leben erfüllt. Also: Stau, gestresste Passanten und auch mal ein Obdachloser. Gleich um die Ecke steht ein neuer Glaspalast von Norman Foster, der auf einen denkmalgeschützten gründerzeitlichen Sockel aufgebaut wurde. Gegenüber des Fosterbaus erkunden wir unseren ersten New Yorker McDonald’s. Bedient von einem 16jährigen; Drive-trough-Bedienungs-Telefon mit Kabel, das durch den Verkaufsraum hängt; völlig problemlose Kreditkartenzahlungen von 2$-Beträgen. Verrückt, dieses New York.




Seit dem 11. September 2001 ist das Empire State Building wieder das höchste Gebäude New Yorks. Von der Aussichtsplattform im 86. Stock bietet sich ein atemberaubender Blick auf die Straßenschluchten Manhattans und große Teile des übrigen Großraums New York mit seinen 22 Mio. Einwohnern.
Aufwendig gestaltet sich der Weg zur 86. Etage, man sollte mindestens eine Stunde Wartezeit einplanen. Der Trick, sich die Tickets bereits vorher im Internet zu kaufen, führt nur zu einer marginalen Zeitersparnis, da viele andere auch diesen Trick ausprobieren.
Von oben konnten wir all das betrachten, an dem wir heute vorbeigelaufen sind: Chrysler Building; Roosevelt Island (von wo aus wir mit einer Seilbahn nach Manhattan geschwebt sind); Central Park; Broadway und 5th Avenue; Rockefeller Center. Letzteres ist vielleicht eine sinnvolle Alternative zum Empire State Building: vom „Top of the Rock“ kann man den tollen Ausblick auf Manhattan vielleicht mit weniger Wartezeit erreichen.





Ein anstrengender, ereignisreicher, wunderschöner 30-Stunden-Tag geht zu Ende. Letztes Highlight war der Times Square, insbesondere bei Dunkelheit ein unvergessliches Erlebnis. Man überbietet sich hier mit bunter Leuchtreklame und Animationen, die ganze Häuser erfassen. Mit dabei: die Polizei, deren Schriftzug „New York Police Dept“ ebenfalls bunt aufleuchtet.




Der Name „Bronx“ wird sofort verbunden mit Kriminalität, Müll, Armut. Aber die Bronx gehört genauso zu New York wie Manhattan, hier leben auch immerhin 1,4 Mio. New Yorker. Also mussten wir hier auch mal hin. Dabei wurden wir sehr überrascht: die Bronx ist größtenteils das Gegenteil von trist und kriminell. Man findet hier belebte Einkaufsstraßen, gepflegte Hinterhöfe und freistehende Holzhäuser mit oberirdischem Anschluss an das Stromnetz. Nicht nur, aber auch. Das hat uns überrascht, als wir gerade mit der auf einem Viadukt geführten Metrolinie 2 den nördlichsten New Yorker Bezirk (und den einzigen auf dem Festland!) durchquert haben und mehrmals für einen kleinen Rundgang ausgestiegen sind.
Heute Morgen konnten wir uns mit dem Bus und zu Fuß bereits von der Schönheit Harlems überzeugen. Die 125th Street, die bedeutendste Straße Harlems und Zentrum der afroamerikanischen Kultur, ist ein touristisch erschlossenes großes Schaufenster mit Filialen weltweit bekannter Ketten. Aber nur 200m nördlich davon kann man schöne Parks, Häuser und Straßen ohne Touristenbusse genießen. Hier fällt man aufgrund seiner Hautfarbe als Tourist auf, auch eine interessante Erfahrung. Empfehlenswert ist es übrigens, einen Harlem-Rundgang am Sonntagmorgen zu machen. Dann kann man – wie wir heute – die Schwarzen auf dem Weg zum Gottesdienst sehen, dem offensichtlichen Highlight der Woche, für das man den besten Anzug aus dem Schrank sucht. Ein wirklich interessanter Anblick, man kommt sich vor wie in einem Film.






Greenwich Village; Soho; Christopher Street; Little Italy; Chinatown. Hat man alles schon mal gehört. Liegt alles in Manhattan. Haben wir alles heute gesehen. Dennoch: das faszinierendste, was hier heute gesehen haben, ist der Meatpacking District. Wie der Name schon gesagt, waren hier bis vor nicht allzu langer Zeit vor allem Schlachthöfe und andere Industriebetriebe angesiedelt. In den letzten Jahren hat das Gebiet einen beeindruckenden Wandel erfahren. Der Geograph spricht von Gentrification, allerdings in einem viel krasseren Umfang wie wir das von europäischen Städten kennen. Neben der alten vollgesprayten Fabrikhalle findet man den nagelneuen Luxus-Loft, neben der verrückt umgestalteten Markthalle den durchgestylten Apple-Store und an den alten Hafenpiers neue Luxusjachten und sogar einen Golfabschlagplatz (wer es nicht glaubt: http://www.chelseapiers.com/). New York ist an sich schon faszinierend, aber dieses Gebiet westlich von Chelsea und nördlich von Greenwich Village überbietet alles.




„Bei Sonnenuntergang über die Brooklyn Bridge laufen.“ Das ist einer der wertvollen Tipps, die mir eine Freundin für den Besuch in New York gegeben hat. Ein großartiger Tipp! Die Aussicht reicht – abgesehen vom Brooklyn am anderen Ufer des East River – von Staten Island über die Freiheitsstatue und den Financial District bis zur Sekundärskyline von Midtown Manhattan. Ich denke, dass die Bilder für sich sprechen.
Sehr sehenswert am östlichen Ufer sind die Brooklyn Heigths, ein historischer Distrikt mit Reihenhäusern aus dem 19. Jahrhundert. Hier haben Schriftsteller wie Truman Capote und Arthur Miller gewohnt, heute wohnt hier u.a. ein netter älterer Herr, der uns von seiner Reise nach Wiesbaden und am Rhein entlang erzählt.




Wahrscheinlich haben sie einfach zu viel Öl. Zu viel zu billiges Öl. Immer noch. Anders kann man es sich nicht erklären: dass sie mit Autos fahren, auf deren Dach man einen Helikopterlandeplatz einrichten könnte; dass sie jedes Gebäude, jede U-Bahn und jeden Bus auf etwa 15°C klimatisieren, auch bei 36°C Außentemperatur; dass sie dir bei jedem Supermarktbesuch deinen Einkauf in mehrere Plastiktüten einpacken; dass sie Milliarden von Wegwerfflaschen in den Umlauf bringen und somit zu Klimawandel und anderen Umweltproblemen entscheidend beitragen. Aber sonst sind sie wirklich ein unglaublich nettes, höfliches und freundliches Volk, diese Amerikaner.



Long Island heißt deshalb „Long“ Island, weil diese Insel insgesamt etwa 200km lang ist. Der westliche Teil gehört noch zu New York, hier liegen die Stadtteile Queens und Brooklyn. Im Ostteil besitzen Mitglieder der New Yorker Upper Class prächtige Anwesen mit Strandblick. Dazwischen liegt die (post-)suburbane Zone von Einfamilienhäusern, Shopping Malls und Commercial Strips, die wir uns heute angeschaut haben.
Die Roosevelt Field Mall war bei ihrer Eröffnung 1956 das größte Einkaufszentrum der Welt, heute ist es immerhin noch das elftgrößte der USA. Noch beeindruckender als die (frisch renovierte) Mall sind die tausenden Parkplätze um die Mall herum. Innen werden wir von einem Mitarbeiter der Mall Security – der auf einem Segway PT (in Deutschland angeblich „Selbstbalanceroller“ genannt) auf uns zugefahren kommt – darauf hingewiesen, dass wir gegen Regel Nr. 6 der Hausordnung verstoßen haben („Phtographing, videotaping or filming require the prior written consent of mall management“). Die Innenaufnahmen der Mall sind also alle illegal. Und die Hausordnung habe ich als Andenken behalten.
Nach dem Mallbesuch sind wir mit dem Bus durch Levittown gefahren. Diese geplante suburbane Siedlung in Nassau County wurde von einer einzigen Firma (dem „Developer“ Levitt & Sons) zwischen 1947 und 1951 errichtet und wird heute von etwa 53.000 Menschen bewohnt. Alle wohnen in Einfamilienhäusern, die alle recht ähnlich aussehen und alle eine breite Straße vor der Tür haben, aber keinen wirklichen Fußweg. Suburbanisierung in Amerika ist wirklich noch viel schlimmer als in Deutschland…





New York setzt sich aus fünf Bezirken zusammen: Bronx, Brooklyn, Manhattan, Queens und Staten Island. Letzterer ist der kleinste (immerhin noch knapp 500.000 Einwohner) und – wie wir seit einer halben Stunde wissen – ein ebenfalls sehr schöner Bezirk. Man fühlt sich hier wie im Urlaub am Meer, nicht wie mitten in einer 22-Millionen-Einwohner-Agglomeration. Viele Bäume, Vogelgezwitscher, fast ausschließlich einstöckige Gebäude, Ruhe. Also ein bisschen anders als Manhattan.
Interessant war auch die Anreise (mit der Buslinie 53) von Brooklyn über die Varrazano-Narrows Bridge, die uns von Bildern vom Start des New York-Marathons bekannt vorkam. Der Ausblick von der Brücke auf Manhattan, Brooklyn, Staten Island und den Atlantik sucht seinesgleichen.
Die Verbindung von Staten Island nach Manhattan werden wir gleich auf dem Wasser zurücklegen: die Staten Island-Ferry bietet einen kostenlosen Blick vom Wasser auf die Freiheitsstatue und die Skyline von Downtown Manhattan, das nächste Highlight des Tages.




Richtig schade, dass wir New York morgen früh schon wieder verlassen. Wir haben in den letzten drei Tagen unglaublich viel gesehen, aber The Big Apple hätte auch für weitere drei (oder auch 300…) Tage genug zu bieten.
Den Financial District rund um die Wall Street hatten wir uns für heute aufgehoben. Die Skyline konnten wir ja bereits von der Fähre aus betrachten. Wirklich schockierend war die Ankunft: mehrere Hubschrauber, Feuerwahr- und Polizeiautos sowie Menschenmassen sammelten sich um einen Verkehrsunfall. Ein Autofahrer hat erst zwei Motorradfahrer umgefahren und mit seinem VW Passat anschließend einen Betonpoller umgefahren, bevor sich der Wagen in einem Bauzaun verfangen hat. Das Bild des toten Motorradfahrers werden wir hoffentlich schnell wieder vergessen, das Bild des im Bauzaun verfangenen Autos wird morgen früh in der New York Times erscheinen.
Traurig war auch der Anblick von Ground Zero, wo bis zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Twin Towers des World Trade Centers standen. Heute bietet sich dem Betrachter eine große abgesperrte Baulücke, in die man nur an wenigen Stellen Einblicke gewinnen kann. Die Bauarbeiten für den „Freedom Tower“ haben bereits begonnen, New York wird sich mit diesem neuen Wahrzeichen sicherlich wieder einmal neu erfinden und sich selbst um eine weitere Attraktion bereichern.
Viele der anderen Attraktionen konnten wir vorhin bei einer Busfahrt von Downtown Manhattan bis zu unserem Hostel in der Upper West Side noch ein (vorerst) letztes Mal zusammengefasst genießen. New York hat wahrlich genug davon.



Im "Maple Leaf" von New York nach Toronto (875km)

Der größte Unterschied zwischen Europa und Amerika ist schlicht und ergreifend die Dimension. In den USA sind die Häuser höher, die Straßen breiter, die Güterzüge länger, die Autos schwerer, die Rohstoffvorkommen ergiebiger und viele Menschen breiter als wir das aus Deutschland gewohnt sind.
Sogar der Rhein ist hier breiter als bei uns. Der „Rhein“ ist der Hudson River, dessen Tal zwischen Albany und New York oft mit dem Mittelrheintal verglichen wird. Mehrere Siedlungen im Hudson River Valley wurden von deutschen Einwanderern gegründet, das erkennt man noch an den Bahnhofsschildern von „New Hamburg“ und „Germantown“. Laut Reiseführer sind auch viele Häuser im „German Style“ errichtet, ohne Reiseführer wäre mir das allerdings nicht aufgefallen.
Weitere Gemeinsamkeiten mit dem Rheintal sind die Form der das Tal begrenzenden Hügel und die Tatsache, dass an beiden Ufern eine Bahnstrecke verläuft. Nur sind halt die Güterzüge am Hudson River viel länger.




3 Stunden und 21 Minuten Verspätung hätte unser Zug, wenn er jetzt endlich losfahren würde. Tut er aber nicht. Wir stehen seit knapp einer Stunde im kanadischen Grenzbahnhof nahe der Niagarafälle, nachdem wir auf der amerikanischen Seite fast ebenso lange gewartet haben. Seit Buffalo - die Entfernung beträgt ganze 25 Meilen - sind wir nun über drei Stunden unterwegs. Den größten Teil der Verspätung haben wir uns aber schon vorher eingefahren bzw. –gestanden. Trotz Verspätung, Müdigkeit und Hunger nervt am meisten aber immer noch die dämlich Klimaanlage. Ich werde nie verstehen, warum die Amerikaner jeden geschlossenen Raum in einen Kühlschrank verwandeln müssen…
Aber zurück zu den positiven Dingen des Tages: die knapp 900 km lange Bahnfahrt von New York nach Toronto war und ist interessant, abwechslungsreich und vor allem komfortabel. Im Vergleich zu Sitzabstand, Komfort und Service der Amtrak-Züge sollte sich jeder europäische Fernzug in die Ecke stellen und schämen.
Wie auf Wolke sieben schwebten wir hier in unseren Luxussesseln durch das Hudsontal und am Erie-Kanal entlang, vorbei an den heruntergekommenen Industriearealen von Syrakuse und Buffalo und durch Wälder und Wiesen in der Ebene vor den großen Seen. Verschiedene Eindrücke sammelnd sind wir so jetzt bis nach Kanada gekommen und werden heute mit Toronto auch noch die größte Stadt des Landes erreichen. Vorausgesetzt, der Zug fährt irgendwann weiter.


Toronto



Nach den drei Tagen New York beginnt heute in Toronto der eigentliche Zweck der Amerikareise: die Uni-Exkursion durch Kanada. Wir lernen im geographischen Institut der University of Toronto Gunter Gad kennen, der uns in den nächsten zweieinhalb Wochen begleiten wird. Gunter ist in Nürnberg aufgewachsen („ich kann kein Deutsch mehr, nur noch fränkisch“) und vor fast 40 Jahren nach Kanada ausgewandert.
Zwei Mitarbeiter des geographischen Instituts, Alan Walks und Zack Taylor, halten Vorträge für uns über die Sozialgeographie Torontos und die politische Struktur Torontos. Ich versuche einmal, die wichtigsten Inhalte der beiden Vorträge kurz zusammenzufassen:
- 86% der Bewohner Torontos leben in nach dem 2. Weltkrieg entwickelten Vororten
- Der ehemalige Vorort Mississauga ist heute die sechstgrößte Stadt Kanadas
- Die einkommensstärksten Nachbarschaften findet man in der Innenstadt von Toronto
- Immigranten ziehen nicht mehr – wie noch in den 70ern – vorrangig in die Innenstadt, sondern ebenfalls in die Vororte
- Die Sozialstruktur von Toronto ist vergleichbar mit derjenigen von Paris
- Im Großraum Toronto leben heute 5,8 Mio. Menschen, davon 2,6 Mio. in der City of Toronto; im „Greater Golden Horseshoe“ genannten Halbkreis um den Ontariosee leben 8,6 Mio. Menschen (in gesamt Kanada nur 33 Mio.!)
- Die Wachstumsraten der Bevölkerung sind nach wie vor sehr hoch
- Toronto verfügt über eines der restriktivsten Planungssysteme in Nordamerika, eine Abstimmung zwischen City of Toronto und Umlandgemeinden ist allerdings schwierig




„Today, we’ve got tourists on board, from Germany. Welcome to Toronto, the best city in the world!”
Applaus im ganzen Bus war die Reaktion auf diese Ansage des Busfahrers vor der Ankunft am Endbahnhof Finch. Ein lustiger Vogel, der auf seiner Route im Norden Torontos wohl nicht jeden Tag Touristen befördert. Schon während der Fahrt hat er immer mal wieder einen Witz untergebracht, zum Abschluss dann diese Verabschiedung inklusive Handschlag.
In drei verschiedenen Straßenbahnen, drei Bussen und einer U-Bahn haben wir gerade die westliche Hälfte Torontos umrundet und dabei Wohn- und Gewerbegebiete, Highways und eine Pferdebahn gesehen. Das Ziel war einfach, eine Tageskarte zu kaufen und einfach mal ein bisschen herumzufahren, um einen ersten Eindruck von Toronto – und zwar bewusst nicht nur von der Innenstadt – zu erhalten.
Bereits beim Ticketkauf wurde klar, dass der öffentliche Nahverkehr hier alles andere als perfekt ist: der Straßenbahnfahrer kann keine Tageskarten verkaufen und verweist uns auf die Grocery Stores. Die wiederum verweisen uns auf die Metrostationen. Dort erhalten wir – nachdem wir von der Chinatown aus, wo wir uns das Ticket eigentlich kaufen wollten, schon mehr als einen Kilometer laufen mussten – endlich unsere Tageskarten. Nicht etwa moderne Tickets mit Magnetstreifen, nein, ein Stück Pappe, auf dem der Geltungstag freigerubbelt werden muss!
Die betagte Straßenbahn, die sich durch den Berufsverkehr aus der Stadt herausquälte, kündete auch nicht gerade von einem modernen ÖPNV. Noch antiquierter wurde es an der Stadtgrenze, wo die Straßenbahn endet und man zur Weiterfahrt in das mit Toronto zusammengewachsene Mississauga nicht nur auf den Bus umsteigen, sondern auch einen neuen Fahrschein lösen muss. So etwas wie einen Verkehrsverbund – in vielen deutschen Städten seit den 70er Jahren Standard – gibt es im Großraum Toronto nicht. Aber zum Ausgleich sind die Busfahrer lustiger als in Deutschland.





Die Skyline von Toronto konnten wir gestern schon vom Ufer des Ontariosees und vom Obergeschoss der Unibibliothek aus beobachten, heute haben wir uns sozusagen durch diese Skyline hindurchbewegt. Gunter, ausgewiesener Toronto-Experte, hat uns die Innenstadt gezeigt. Schwerpunkte waren der Financial District, die Harbourfront und der King-Spadina District.
Der Financial District, zu Deutsch wohl am ehesten „Bankenviertel“, hat sich im 19. Jahrhundert in der Nähe des Hafens angesiedelt („der Bauer kann nicht auf sein Geld warten, bis das Getreide in Europa verkauft wird, also braucht man ein Kreditwesen“). Historische Gebäude findet man hier aber nur noch wenige, dafür umso mehr Bürotürme.
Die kalten Winter in Toronto sind der Grund dafür, dass der gesamte Innenstadtbereich inklusive Shopping Centern, Metrostationen und Banken unterirdisch miteinander verbunden ist. Insgesamt kann man ein unterirdisches Wegenetz von 27km erkunden.
Die Harbourfront hingegen sollte man auf jeden Fall oberirdisch erkunden, sonst würde man die schöne Aussicht auf den Ontariosee und die Toronto Islands verpassen. Statt Hafenanlagen und Lagerhallen findet man heute am Seeufer Cafés, Freizeiteinrichtungen und neue Wohnbebauung. Ein interessanter Umwandlungsprozess, der auch bei den nördlich gelegenen „Railway Lands“ stattgefunden hat. Statt ausgedehnter Bahnanlagen findet man hier heute moderne Wohnungen und Büros sowie zwei Wahrzeichen Torontos: den CN-Tower, das „höchste freistehende Gebäude der Welt“, sowie das Rodgers Centre (ehemals SkyDome), in dem u.a. Baseballspiele ausgetragen werden. Einen tollen Blick auf Spielfeld und Ränge hat man vom Hardrock-Café aus.
Die Besichtigung des King-Spadina Districts wurde durch ein erneutes Gewitter erschwert (das vierte Gewitter am sechsten Urlaubstag), dennoch war es interessant zu sehen, dass sich in einem alten Industriedistrikt in den Backsteingebäuden heute vor allem Büros und Wohnungen befinden. Also auch hier ein Wandel der Nutzungsformen.
Wir halten fest: die Innenstadt von Toronto hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem verändert. Sie ist nach wie vor sehr lebendig und beliebt. Das Wetter ist nach wie vor schlecht.




Dass Toronto nicht nur aus den Hochhäusern in der Innenstadt besteht, konnten wir am heutigen dritten Exkursionstag erneut erleben. Die mehr als fünf Millionen Menschen im Großraum der größten kanadischen Stadt verteilen sich auf eine große, größtenteils ebene und in Quadrate eingeteilte Fläche. An verschiedenen Wohnformen in dieser großen Fläche haben wir Station gemacht, so zum Beispiel am Haus des Universitätsdirektors in Rosdale; an der von verschiedenen Ethnien bewohnten Großwohnsiedlung St. James Town; an der in den 50er Jahren komplett neu errichteten Vorstadt Don Mills; an einer Gated Community, zu der ausschließlich die Anwohner und deren angemeldete Besucher Zugang haben; an einem Bauprojekt des „New Urbanism“ im Vorort Markham (wo man vereinfacht ausgedrückt versucht, städtische Dichte in den suburbanen Raum zu bringen und den Flächenfraß der Einfamilienhäuser einzuschränken); außerdem auch an einem asiatischen Einkaufszentrum Viele der Stationen waren noch beeindruckender als die Tatsache, dass man hier auf dem Highway auch rechts überholen kann.



5:1 haben die Seattle Mariners letztendlich gewonnen, obwohl wir den Toronto Blue Jays die Daumen gedrückt hatten. Dennoch war der Besuch des Baseballspiels im Rogers Centre ein schönes Erlebnis. Nach einer halben Stunde Spielzeit hatte mir Manuel die Regeln so gut erklärt, dass ich den Zusammenhang zwischen Ball, Strike und Out endlich verstanden habe. Spannend ist Baseball schon irgendwie, wenn man die Regeln erst einmal verstanden hat. Aber wie bei anderen amerikanischen Sportarten auch hat man den Eindruck, dass die Werbeanimationen in den Spielunterbrechungen eigentlich im Vordergrund stehen und nur selten wirklich Bewegung ins Spiel kommt. Es geht halt nichts über Fußball…

Niagarafälle





Etwa ein Drittel des Strombedarfs der Provinz Ontario wird aus Wasserkraft gedeckt, in der Provinz Quebec ist der Anteil noch viel höher. Gemeinsam mit Norwegen und der Schweiz gehört Kanada zu den Technologieführern im Bereich der Wasserkraft. Die Bedeutung der Stromgewinnung aus Wasser ist so groß, dass Strom in Kanada teilweise als „hydro“ bezeichnet wird. Ein Zentrum der Wassergewinnung in Ontario ist dabei das Gebiet zwischen Eriesee und Ontariosee. Der Niagara River und der Wellandkanal überwinden zwischen den beiden Seen einen Höhenunterschied von knapp 100 Metern. Auf der heutigen – von Alun Hughes und John Burtniak geleiteten – Exkursion haben wir verschiedene Wasserkraftwerke gesehen, die diesen Höhenunterschied ausnutzen, um Energie zu gewinnen.


In jeder Sekunde stürzen mehr als 2.000.000 Liter Wasser aus 52 Metern Höhe in die Tiefe. Würden nicht große Wassermassen zur Energieproduktion entzogen (tagsüber etwa 50%, nachts bis zu 90%), würde sogar doppelt soviel Wasser herunterdonnern.
Die Rede ist von den Niagarafällen, einem einmaligen Naturschauspiel an der Grenze Kanadas zu den USA. Ob man sie von oben (als Fußgänger, aus dem Hubschrauber oder aus dem Skylon Tower), von der Seite (aus dem Schiff) oder auch (als Fußgänger, der Eintritt bezahlt hat) von hinten sieht: diese Wasserfälle sind großartig.
Dennoch: die Art und Weise, wie die Wasserfälle vermarktet werden, kann man pervers nennen. Zumindest ist sie beeindruckend. An der kanadischen Seite des Niagara River – von der aus man den viel besseren Blick auf die Wasserfälle hat – ist ein zweites Las Vegas entstanden: Zwei Casinos, viele Hotels und eine Vergnügungsmeile mit wirklich abgefahrenen Attraktionen machen die Stadt Niagara Falls zu einem Paradebeispiel der Vermarktung von Naturschönheiten.
Einen Casinobesuch haben wir uns natürlich nicht entgehen lassen, ebenso wenig die Schifffahrt in die Wasserfälle hinein. Mehr als 20 Millionen Touristen besuchen das Städtchen jedes Jahr. Dieses Jahr tauchen wir auch erstmals in der Statistik auf.



Von Toronto nach Ottawa


Erst im Jahr 1857 hat Queen Victoria Ottawa als die (zukünftige) Hauptstadt von Kanada ausgewählt. Mehrere Städte – u.a. Toronto und Montreal – hatten vergeblich auf den Hauptstadttitel gehofft. Einer der Titelanwärter war auch Kingston – damals eine der wichtigsten Städte von Kanada, heute eher ein kleines Nest am Ontariosee. Der Neubau des Rathauses wurde vorsorglich so groß konzipiert, dass dort nach der Ernennung zur Hauptstadt das kanadische Parlament residieren könnte. Tatsächlich war Kingston von 1841 bis 1844 die erste Hauptstadt der Provinz Kanada, also einer britischen Kolonie. Bundeshauptstadt des kanadischen Dominions wurde dann aber 1867 bekanntlich Ottawa, das wir heute –mit Zwischenstopp in Kingston – ansteuern.